Jazzlandpost Juli-August 2024 – Axel zum Geleit

Der typische Rahmen der Jazzlandpost für Juli-August 2024 diesmal schwarz dafür wurden einige Fotos im folgenden Text auch in Farbe gedruckt:

Axel Melhardt wurde am 14.5.1943 als Sohn des Prager Schauspielers Edgar Melhardt, der jahrelang als Ensemble-Mitglied am Wiener Volkstheater engagiert war, und der in den 20-er und 30-er Jahren in Deutschland tätigen Sängerin und Schauspielerin Ilse Melhardt, geb. Glatz, (Bühnenname: Ilse Glarys) in Wien geboren.

Nach der überaus erfolgreichen Absolvierung der Volksschule geriet die schulische Ausbildung schon in der Untermittelschule leicht ins Stocken, als der junge Mann mit Jazz (durch Besuch des Films „Benny Goodman-Story“) und mit der damals noch verpönten und im deutschen Sprachraum noch kaum bekannten Science-Fiction Literatur in Berührung kam.

Axel Melhardt 1973

Nach einem kurzen Internatsaufenthalt in der Schweiz und dem Besuch der Maturaschule Dr. Roland legte er leicht verspätet – aber doch – die Matura ab, um sich in den folgenden Jahren mit wenig Einsatz in verschiedenen

Studienrichtungen zu versuchen – Astronomie, Mathematik, Anglistik, Publizistik, Germanistik und Ethnologie wurden aber zumindest ansatzweise durchforscht.

Die wahren Interessen blieben aber bei der Literatur – viele Übersetzungen ausgezeichneter Autoren aus dem Amerikanischen und einige bei seriösen Verlagen herausgebrachte SF-Kurzgeschichten, sowie die jahrelange Herausgabe eines literarischen Amateur-Magazins, welches im deutschen Sprachraum einige Anerkennung erhielt, aber auch zahlreiche Veröffentlichungen in wenig bemerkenswerten Romanheftchen, die aber finanziell den Grundstock legten, aus dem später einmal die ersten langen Durststrecken bei der Eröffnung des JAZZLAND überwunden werden konnten – und vor allen Dingen bei der Musik, wo er als akribischer Plattensammler und die aufregende Jazzgeschichte Durchforschender den Grundstein für diejenigen umfangreichen Kenntnisse legte, die es ihm später ermöglichen sollten, treffsichere und stets interessante Gastspiele der Jazzgrößen zu organisieren.

Der amerikanische Spitzenposaunist Phil Wilson – der natürlich auch im Jazzland aufgetreten ist – charakterisierte einmal die Tätigkeit seines ehemaligen Chefs Woody Herman folgendermaßen: „Nobody does what Woody does as well as Woody does. If we could only figure out what it is he does“

Mit diesem launigen Bonmot würdigte er auf seine Art Hermans wohlerworbenen, geradezu legendären Status in der Welt des Jazz.

Dieser Ausspruch trifft geradezu maßgeschneidert auch auf das Lebenswerk unseres Axels zu: sein umfangreicher Beitrag zur österreichischen – genauer gesagt zur europäischen – Jazzgeschichte kann gar nicht hoch genug eingeschätzt werden. Staunend stellt sich der Kenner der Szene die Frage: wie konnte ein einzelner Mensch das Alles nur schaffen?

Im Frühjahr 1972 wurde in einem finanziell angeschlagenen Stadtheurigen am Franz Josefs Kai (Weinfaßl) ein Jazzabend durchgeführt, der das krisengeschüttelte Lokal nach Jahren endlich wieder einmal bis zur Grenze des Fassungsvermögens füllte. Der an und für sich an der Musik desinteressierte Gastronom Franz Kausal ergriff den Strohhalm, und Axel Melhardt begann in dem nun JAZZLAND genannten Keller regelmäßig Konzerte zu veranstalten.

Red Hot Pods mit Albert Nicholas 1972

Bei dieser Eröffnung des Klubs im März 1972 erzielte Axel mit dem Engagement des New Orleans Klarinettisten Albert Nicholas – begleitet von den „Red Hot Pods“ – also einen rauschenden Erfolg, den er zwei Monate später mit dem Auftritt Ben Websters zusammen mit der „Printers Jazzband“ sogar noch übertreffen konnte. Sein Vertrauen in das Können der sogenannten „Amateurbands“ wurde auf diese Weise glänzend bestätigt. Der Kontakt zu diesen hochkarätigen Gastsolisten war einzig und allein seiner unermüdlichen Recherchearbeit zu verdanken. Die Musiker waren natürlich für diese besonderen Auftrittsmöglichkeiten sehr dankbar, hatten sich aber im Übrigen keine besonderen Gedanken darüber gemacht, wie viel Arbeitsaufwand von Seiten Axels hinter dem Zusammenkommen dieser Auftritte steckte.

Die Programmierung des sogenannten „Modern Jazz“-Segments wurde jedoch vom Publikum bei weitem nicht so akzeptiert, wie es sich die „Profis“ gerne gewünscht hätten, und so kam es leider bald zu Reibereien und Unstimmigkeiten im Vorstand des „Jazzring Austria“, die mit dem Ausschluss Axels aus dem Verein endeten. Der Pächter des Lokals, Herr Kausal, dem naturgemäß einzig und allein der kommerzielle Erfolg des Lokals am Herzen lag, löste den Vertrag mit dem „Jazzring Austria“ nach der vereinbarten sechsmonatigen Kündigungsfrist auf und entschloss sich, das Lokal ohne Verein weiterzuführen, allerdings basierend auf dem „Know How“ und mit der Mitarbeit Axels, der damit im September 1972 die alleinige musikalische Verantwortung übernahm und schlussendlich 52 Jahre lang sehr erfolgreich getragen hat.

Die folgenden zehn Jahre waren für die nunmehrige Familie Melhardt – Axel hatte inzwischen seine von allen hochgeschätzte Tilly geheiratet – alles andere als einfach. Axel schaffte es zwar immer wieder, ein künstlerisch hoch anspruchsvolles Programm auf die Beine zu stellen – der materielle Nutznießer war aber so gut wie ausschließlich besagter Herr Kausal. Nach diesen zehn Jahren hatten die Melhardts dann endlich genug Geld zusammengespart, um Herrn Kausal auszahlen zu können, und spätestens von da an begann eines der ruhmreichsten Kapitel der österreichischen Jazzgeschichte.

Von Anfang an entwickelte Axel das damals absolut neuartige Konzept, internationale – meist amerikanische – Spitzenmusiker des Jazz nach Wien zu holen, um sie hier mit der heimischen Szene zu konfrontieren. Durch seine Pionierarbeit hat sich in den letzten Jahrzehnten die österreichische Jazzszene kontinuierlich zu einem Begriff in der internationalen Jazzwelt entwickelt, die den Gästen aus dem Ausland immer wieder höchste Anerkennung entlockt. Viele dieser Musiker wurden in all den Jahren nicht nur zu Stammgästen, sondern auch zu sehr guten Freunden.

Eddie „Lockjaw“ Davis mit Art Farmer

Es ist in Jazzkreisen wohl bekannt, dass dem heimischen Publikum im „Jazzland“ Jazzgeschichte – von den Anfän-gen bis zu den aktuellsten relevanten Entwicklungen – unmittelbar aus nächster Nähe vermittelt wurde und wird.

In den Medien wird allerdings bei der allfälligen Berichterstattung über das „Jazzland“ – insofern man sich überhaupt der Mühe unterzieht, näher auf das Programm einzugehen – so gut wie immer den Eindruck erweckt, dass „Jazz Contemporary“, wie man jetzt zu sagen pflegt, dort eher stiefmütterlich behandelt wird. Wenn man sich aber mit der Musik eines Dave Liebman, Ed Neumeister, Richie Beirach, Kenny Werner oder Hal Crook – die ja fast alle im „Jazzland“ öfters und vor allem sehr gerne aufgetreten sind – auch nur einigermaßen ernsthaft auseinandersetzt, wird man deren Musik das Prädikat „Contemporary“ wohl kaum verweigern können. Axel hatte nämlich, ungeachtet seiner persönlichen Vorlieben, ein untrügliches Gespür für Qualität, egal bei welcher Stilrichtung, sei es nun „Ragtime“ oder auch „Contemporary“.

In 52 Jahren Jazzland gastierten so gut wie alle – die schmerzlichen Ausnahmen sind Joe Zawinul und Hans Koller – österreichischen Spitzenmusiker des klassischen Jazz im inzwischen von Publikum zum „landl“ umbenannten JAZZLAND, aber auch eine ganze Reihe der jungen, innovativen Jazzer gingen durch die beinharte JAZZ-LAND-Schule, wo sie zeigen mussten, wie gut sie ihr Handwerk beherrschen.

Damit sind wir jetzt wohl unvermeidlich bei einer Auflistung der Stargäste angelangt, die wir aber so kurz wie möglich halten wollen. Die ursprünglichen Schöpfer der Stilrichtung „Ragtime“ konnten begreiflicherweise nicht mehr im „Jazzland“ auftreten, aber Künstler wie Ralph Sutton und Dick Hyman haben bei ihren Konzerten zwischendurch immer wieder wunderbare Demonstrationen dieser großartigen Musik dargeboten.

 Der wahrscheinlich prominenteste Vertreter der Richtung „Contemporary“ im Jazzland war wohl Brad Mehldau; aber zwischen diesen beiden Polen war die Liste der Musiker, die Eingang in die „Hall of Fame“ der Jazzgeschichte gefunden haben, einfach zu groß, um hier vollständig angeführt zu werden. Wir wollen uns daher auf die Aufzählung von Axels persönlichen Favoriten beschränken.

Ray Brown – Leo Wright

Die beiden vermutlich wichtigsten Musiker waren dabei Ray Brown und Benny Carter. Ray Brown hat einfach – ausgehend von den Erneuerungen Jimmy Blantons – die moderne Art, wie man Kontrabass im sogenannten „Straight Ahead“ Jazzstil zu spielen hat, geprägt.                           Die geradezu epochalen Leistungen Benny Carters – sowohl in seiner Eigenschaft als Saxophonist, wie auch als Komponist und Arrangeur – sind in der Jazzgeschichte allgemein anerkannt. Weniger bekannt sind seine Fähigkeiten als Multiinstrumentalist, und auf Axels Bitte hat er im „Jazzland“ eine überzeugende Demonstration seines Könnens auf der Trompete dargeboten.

So unterschiedliche Musiker wie Wild Bill Davison und Art Farmer rangierten ganz hoch in seiner persönlichen Hit Parade, aber die absolute Nummer eins belegte natürlich sein geliebter Freund Eddie „Lockjaw“ Davis.

„Jaws“ war nicht nur ein großer Musiker, sondern er kannte auch durch seine Tätigkeit als Roadmanager bei Count Basie die Tücken des Business in – und auswendig. Axels unerschütterliche idealistische Einstellung wie ein Jazzklub geführt werden sollte, beeindruckte den wahrlich mit allen Wassern gewaschene „Ederl“ – wie er bald liebevoll in Wiener Jazzkreisen genannt wurde – so sehr, dass er zum überzeugendsten Werbeträger für das „Jazzland“ wurde. Zahlreiche Gaststars kamen auf seine Empfehlung hin mit Axel in Kontakt und spielten bereitwilligst zu Konditionen, die sie sonst kaum akzeptiert hätten.

Benny Carter & Herb Ellis

Und hier schließt sich nun der Kreis zum eingangserwähnten Zitat Phil Wilsons. Der Kern seiner Aussage war ja – zugegebenermaßen sehr frei interpretiert – wie kann ein einzelner Mensch eine derartige Lebensleistung vollbringen? Diese Frage entzieht sich natürlich zum Teil einer rationalen Betrachtungsweise, aber einige wesentliche Faktoren kann man trotzdem unschwer feststellen.

Axels eigener Optimismus, er hatte die Kraft – allen unvermeidlichen Rückschlägen zum Trotz – fest an die Richtigkeit seines Konzepts zu glauben. Dieser unerschütterliche Glaube an sich und seine Frau Tilly, seit Oktober 1972 untrennbar an seiner Seite, hat sich im Nachhinein nach mehr als fünfzig Jahren eindrucksvoll bestätigt.

Im Übrigen sei hier darauf hingewiesen, dass Tilly, die sogar ihr erfolgversprechendes Ethnologiestudium abbrechen musste, um ihn mit voller Kraft bei der sehr schwierigen Tätigkeit als Leiter eines Jazzclubs zu unterstützen, alle seine Überzeugungen vollinhaltlich teilte. Ohne ihre Unterstützung wäre sein Lebenswerk wohl nicht so ausgefallen, wie es sich heute darstellt.

Des Weiteren war jeder, der Axel näher kennenlernen durfte, von seinem absoluten Sinn für Gerechtigkeit beeindruckt. Unrecht jeglicher Art bereitete ihm geradezu körperliche Schmerzen. Es war typisch für ihn, dass er während seiner Studentenzeit Simon Wiesenthal bei der Aufarbeitung der in der Nazizeit begangenen Verbrechen unterstützte. Wiesenthal ging es ja bei seiner diesbezüglichen Tätigkeit bekanntlich immer nur um Recht, nicht um Rache. Dem entsprechend konnte sich jeder für Axel arbeitende Musiker darauf verlassen, dass seine Interessen nach bestem Wissen und Gewissen berücksichtigt werden. Absolute Fairness und Korrektheit war immer wesentlicher Bestandteil seiner Arbeit.

Ein weiterer maßgeblicher Faktor für den Erfolg des Jazzlands waren Empathie, Großzügigkeit und Gastfreundschaft. Die geradezu legendäre Herzlichkeit, mit der die Gastmusiker von der Familie Melhardt empfangen wurden, trug zu einem großen Teil dazu bei, dass sie sich in Wien so wohl fühlten; was sie wiederum am Abend im Klub zu besonderen Höchstleistungen anspornte. Als typisch für die Beliebtheit der Familie Melhardt bei internationalen Musikern können wir zwei Beispiele der tiefen Betroffenheit, die die Nachricht von Axels Tod in der Community auslöste, aus persönlicher Erfahrung von Heinz Czadek anführen.

Please pass on my condolences to the MELHARDT family about the passing of Axel – a true friend of the jazz world who will never be forgotten or replaced.  (Don Menza)

I am sad to announce that Axel Melhardt has passed

away. He founded the club Jazzland in Vienna and managed it for over fifty years. A great and generous friend of musicians on both sides of the Atlantic, he provided many opportunities for both local and travelling jazz players to get to know each other and collaborate. A true and valued fan of the music, he was (and is) a much beloved figure. He will be greatly missed. – (Post von Randy Sandke auf der Plattform „Jazz Research“)

Vollkommen zu Recht war Axel immer sehr stolz darauf, dass das JAZZLAND heute wahrscheinlich der älteste Jazzclub der Welt unter kontinuierlicher Leitung ist, und dass die internationale Jazzwelt sein Lokal als einen der führenden Jazzclubs der Welt akzeptiert.

Abseits des Jazzlands war Axel ein liebender Familienmensch, stolzer Vater seines Sohnes Julius, der 1984 auf die Welt kam. Dessen Lebensgefährtin Veri und die beiden Söhne Raphael und Gabriel wurden herzlichst in die Familie aufgenommen. Für seine zahlreichen Mitarbeiter war er Chef ohne Chef zu sein, er betonte stets, dass wir zusammenarbeiten. Er hatte immer ein offenes Ohr für Probleme jeglicher Art und unterstützte uns in allen Lebenslagen. Wir alle werden unseren lieben Axel sehr vermissen und niemals vergessen.

Am 06.05.2024 schlief Axel Melhardt friedlich ein. Sein Vermächtnis, allen voran das Jazzland, wird weiterbestehen und in seinem Sinne fortgeführt werden.

Keep Swinging
Tilly & Julius Melhardt und die gesamte Jazzland Crew

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